Swiss Steel Group-CEO Frank Koch erklärt, wie er das Unternehmen künftig aufstellen und grüner werden will.
Herr Koch, Sie stehen seit Juli 2021 an der Spitze der Swiss Steel Group. Wie hat sich das Unternehmen seither entwickelt?
2021 war anspruchsvoll und aufgrund der drastisch gestiegenen Energiepreise eine echte Herausforderung. 2022 sieht nicht wirklich einfacher aus, aber jetzt sind wir auf einem guten Weg, die Dinge weiter zu konsolidieren. Allerdings haben wir nach der Pandemie mit dem Ukraine-Krieg nun neue Unwägbarkeiten vor uns. Und ob die Pandemie wirklich vorbei ist, wissen wir erst nach dem nächsten Winter. Entscheidend ist, dass wir nicht von unserem grundsätzlichen strategischen Weg abweichen. Aber dazu später mehr.
Welchen Einfluss hat der Krieg in der Ukraine?
Vor allem ist es menschlich schlimm. Die Ukraine ist ein wichtiger Player auf dem europäischen Stahlmarkt und viele Menschen aus diesen Firmen kenne ich persönlich. Wenn ich die Bilder aus dem Asow-Stahl-Werk sehe, dann schmerzt mich das sehr.
Geschäftlich macht der Krieg das Geschehen in der Branche noch volatiler. Es sind nicht nur die sprunghaft gestiegenen Energiepreise, die unsere Produkte verteuern, es sind auch die Unsicherheiten in der Planung und den Lieferketten, die uns enorm fordern. Noch ist nicht klar, wie der Markt das aufnehmen wird. Wir sprechen sehr intensiv mit unseren Kunden und finden überall partnerschaftliche Lösungen. Besonders wichtig ist es uns, Lieferzusagen verlässlich einhalten zu können und unsere Kunden nicht mit kurzfristigen Engpässen zu belasten.
Welches sind Ihre kurzfristigen Ziele mit der Swiss Steel Group?
Ziel ist es, die Gruppe weiter zu konsolidieren und finanziell solide aufzustellen, damit wir gerüstet sind für die nächsten zwei bis drei Jahre, die – vor allem aufgrund externer Faktoren – noch ziemlich turbulent verlaufen werden. Entscheidend für den mittel- und langfristigen Erfolg ist unsere Initiative „Green Steel“, die Teil unserer aktuellen strategischen Ausrichtung ist. Im Rahmen unseres neuen strategischen Ansatzes werden wir den Konzern auch in Teilen umbauen, um die Kräfte zu bündeln und uns noch fokussierter um die Bedürfnisse unserer Kunden kümmern zu können. Wir nennen diese erweiterte Initiative „SSG 2025 – for a future that matters“.
Sie sprechen die Initiative „Green Steel“ an. Wie sieht diese aus?
„Green Steel“ ist die schrittweise, systematische Dekarbonisierung all unserer Aktivitäten. Wir haben die drei wichtigsten Gebiete mit dem größten Footprint analysiert und arbeiten nun in jedem Werk und jeder Organisation des Konzerns systematisch an der Implementierung von Lösungen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir unterscheiden zwischen Scope 1, Scope 2 und Scope 3. Das sind nicht unterschiedliche Prioritäten, sondern unterschiedliche Stoßrichtungen, die alle dieselbe hohe Priorität haben. Sie können sich das wie einen Würfel vorstellen. Das Volumen wird bestimmt durch drei Dimensionen – Länge, Breite und Höhe. Jede Reduktion einer dieser Dimensionen reduziert automatisch auch das gesamte Würfelvolumen. Bei der „Green Steel“ Initiative sind unsere drei Scopes die bestimmenden Dimensionen. Indem wir Sie kombinieren, erreichen wir eine schnelle und umfassende Dekarbonisierung.
Was bedeuten Scope 1, 2 und 3 im Detail?
Scope 1 sind die direkten Emissionen aus der eigenen Produktion des Unternehmens.
Hier liegen wir durch unser Produktionsverfahren, der Elektrolichtbogenofenroute, die in Relation zur Hochofen Route 78 Prozent weniger Emissionen verursacht, schon einmal sehr gut.
Scope 2 sind die indirekten Emissionen, die im Zusammenhang mit dem Bezug von Strom und anderen Energien stehen. Hier setzen wir aktuell vermehrt und bereits sehr erfolgreich an. Wir wechseln wo immer möglich zu regenerativen Energien wie deklariertem Ökostrom z.B. aus Windenergie, Photovoltaik oder Wasserkraft. Damit können wir unseren Carbon-Footprint massiv reduzieren. In unserem Stahlwerk in Emmenbrücke in der Schweiz verwenden wir in den beiden Elektrostahlöfen seit kurzem nur noch zertifizierten Strom aus Schweizer Wasserkraftwerken. Damit sinken unsere Emissionen auch massiv, im Moment fast konkurrenzlos.
Scope 3 sind alle anderen Emissionen, die in der Wertschöpfungskette des Unternehmens entstehen, verursacht durch Lieferanten, Dienstleistungen oder Logistik. In unseren Stahlwerken ist daher der Ersatz von extern bezogenen Legierungsmetallen durch hochlegierten Schrott z.B. ein Lösungsweg, den wir gehen. Bisher war es schwierig, eine gleichbleibende Qualität zu erzeugen, ohne in der Primärroute gewonnene Legierungselemente wie Nickel, Chrom oder Mangan beizufügen. Mit neuen, hochintelligenten Verfahren, die unser Werk in Ugine in Frankreich entwickelt hat, ist das nun möglich. Damit können wir die Stahlqualität allein mithilfe von Schrott exakt definieren und sind so in der Lage, mit viel weniger Energieaufwand besseres Material herzustellen. Dank dieses Systems betreiben wir nicht nur Recycling, sondern Upcycling. Zusätzlich hilft es uns, von politischen Unwägbarkeiten unabhängig zu werden, wenn wir ohne den Import von Legierungsmetallen auskommen.
Wie heben Sie sich mit „Green Steel“ von der Konkurrenz ab?
Wir produzieren unseren Stahl bereits ausschließlich aus Schrott und sind damit als Europas größtes Stahlwerk auf der Lichtbogenofenroute auch eines der größten Recycling-Unternehmen Europas. Die Schrottroute hat im Gegensatz zur Hochofenroute, die den Stahl aus Eisenerz herstellt, entscheidende Vorteile. Sie ist zwar deutlich anspruchsvoller bei der Rohmaterialbeschaffung, benötigt aber viel weniger Energie und erzeugt damit grundsätzlich sehr viel weniger Emissionen. Aber auch da können wir noch besser werden, mit gezielten Investitionen in sparsamere Anlagen, die zudem die Abwärme wiederverwenden. In unserem Schweizer Walzwerk fließt beispielweise die Abwärme ins lokale Fernwärmenetz und versorgt bis zu 60 Haushalte. Möglich wurde dies durch eine Investition in einen neuen Hubbalkenofen, die uns allerdings auch 60 Mio. CHF kostete.
Welchen Vorteil haben die Kunden von „Green Steel“?
Das Kernthema von „Green Steel“ lautet „Messen, handeln, dokumentieren“. Wir messen unsere Emissionen, treffen Maßnahmen, messen die Wirkung und dokumentieren sie. Diese Dokumentation geben wir an unsere Kunden weiter. Wir können heute schon für den Stahl, der unser Werkstor verlässt, genau nachweisen, wie viel CO2 bei der Produktion freigesetzt wurde. Für die Kunden ist das entscheidend, weil sie so genau wissen, wie groß der Footprint ihrer Erzeugnisse ist. Wir hoffen auch, dass sie dank dieser Dokumentation künftig den Stahllieferanten mit den kleinsten Emissionen wählen werden. Das wird in allen metallverarbeitenden Branchen immer wichtiger. Für die Kunden ist „Green Steel“ deshalb ein großer Pluspunkt, denn auch sie sind aufgerufen, ihren CO₂-Abdruck zu verringern. Für uns ein klarer Marktvorteil.
Welche Kosten stehen diesen Vorteilen gegenüber?
Wir haben uns nicht gefragt, was das kostet, sondern wir haben uns gefragt, was es uns kostet, wenn wir es nicht tun. Wir können nicht unseren Planeten ruinieren und denken, das koste nichts, nur weil es in der Vergangenheit nicht in der Buchhaltung aufgeschlagen ist. „Green Steel“ verursacht Kosten, doch auf der anderen Seite überwiegen auch die Vorteile, auch finanzielle, insbesondere, wenn wir zeigen können, dass wir der emissionsärmste Stahlhersteller Europas sind.
Aber lassen sie mich an dieser Stelle noch eines hinzufügen, Nachhaltigkeit ist für mich nicht nur ein Unternehmensthema, ich sehe es als unsere gesellschaftliche Verantwortung an, der wir uns zu stellen haben. Sollte ich hier auch nur einmal im Geringsten ins Zweifeln geraten, erinnern mich meine Kinder ganz massiv daran.
Hat „Green Steel“ auch außerhalb des Unternehmens einen Effekt?
Wir können die Wirtschaft nicht im Alleingang dekarbonisieren. Aber wir sehen, dass unsere Anstrengungen Knock-On-Effekte bei unseren Kunden erzeugen und sie sich intensiver mit
dem Gedanken der Dekarbonisierung auseinandersetzen. Zudem geben wir ihnen mit unseren neuen Produkten auch aktiv die Möglichkeit, ihren Footprint zu verringern. Die Nachfrage bestätigt uns in unserer Strategie.
Wie funktioniert das konkret?
Betrachten wir beispielsweise die Baubranche. Zementproduktion und Beton sind allgemein extrem CO2-intensiv. Heute wird ein großer Teil des Betons aber lediglich zur Überdeckung der Stahlbewehrung in einer Betonkonstruktion verbaut. Das soll verhindern, dass der Bewehrungsstahl im Inneren der Konstruktion rostet. Hunderttausende von Tonnen Beton dienen folglich nur als Rostschutz. Das ist absurd. Wir stellen in unserem Schweizer Werk deshalb einen rostresistenten Bewehrungsstahl her, der bei gleicher Festigkeit viel leichtere, elegantere und vor allem ökologischere Betonkonstruktionen zulässt. Dieses Produkt hat somit das Potenzial, weit über die Stahlbranche hinaus einen positiven Effekt aufs Klima zu entwickeln.
Sehr geehrter Herr Koch,
wir bedanken uns für das Gespräch.