Interview mit Dr. Gunther Voswinckel, President International Tube Association (ITA)
Die Rohrindustrie möchte auf der Tube zeigen, dass die „Green Economy“ nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern gelebte Praxis ist. „Hier hat unsere Industrie einige interessante Lösungen zu bieten“, erklärt Dr. Gunther Voswinckel, President International Tube Association (ITA), im Gespräch mit den wire & Tube NEWS. Parallel muss die Rohrbranche auch Herausforderungen bewältigen, wie der kriegerische Einmarsch von Russland in die Ukraine und eine völlig neue Bewertung des Weltwirtschaftssystems.
wire & Tube NEWS: Der Krieg in der Ukraine verändert die Ökonomien. Welchen Einfluss hat er auf den Rohrmarkt?
Dr. Gunther Voswinckel: Die Corona-Pandemie war bereits durch steigende Rohstoffpreise und gestörte Lieferketten gekennzeichnet. Der kriegerische Einmarsch von Russland in die Ukraine bewirkt nun eine völlig neue Bewertung des Weltwirtschaftssystems. Bislang basierte das Weltwirtschaftssystem und dessen Strukturen auf relativ freiem Handel und der Vorstellung, dass wirtschaftliche Netzwerke kriegerische Aktivitäten verhindern – oder zumindest einschränken. Dieses Weltbild wird nun in Frage gestellt, mit unvorhersehbaren Folgen für den globalen Freihandel. Die Beeinflussung von Handelsströmen wird zunehmend als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele genutzt und ist damit für die Industrie schwerer kalkulierbar. Die Neuordnung der weltweiten Öl- und Gasversorgung sowie der globalen Lieferketten stellt unsere Branche jedoch nicht nur vor neue Herausforderungen, sondern bieten auch mögliche Chancen für zukünftige Geschäfte.
Russland verfügt über eine große Rohrindustrie, die in den vergangenen Jahren bereits weitgehend ertüchtigt wurde, den nationalen Bedarf an Rohren selbst zu bedienen. Somit sind die Rohrimporte, die durch die Wirtschaftssanktionen wegfallen, nicht mehr so erheblich, dass hier große Umsatzverluste für die sonstige Rohrindustrie entstehen.
wire & Tube NEWS: Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Rohrbranche in China? Das asiatische Land benötigt geeignete Umwelttechnologien – gerade auch aus der Tube-Branche.
Dr. Gunther Voswinckel: Der weltweite Trend hin zur „Green Economy“ bietet Chancen für neue Geschäftsfelder. Dieser Trend gilt natürlich auch für China, das in 2021 mit 55% der weltweiten Rohrproduktionskapazität eine dominante Rolle spielt.
Die Messe Düsseldorf und die ITA, International Tube Association, bieten in diesem Zusammenhang gemeinsam auf der Tube 22 täglich geführte Touren an. Diese sogenannten „ecoMetal-Trials“, bieten unseren Ausstellern der Rohrindustrie die Gelegenheit interessierten Messebesuchern gezielt Ihre Entwicklungen und Lösungen hinsichtlich Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Ressourcenschonung zu demonstrieren. Die Rohrindustrie kann so zeigen, dass die „Green Economy“ nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern gelebte Praxis sind. Hier hat unsere Industrie einige interessante Lösungen zu bieten.
wire & Tube NEWS: Warum benötigt der Fracking-Markt in den USA nach wie die Rohranbieter, um zu expandieren?
Dr. Gunther Voswinckel: Die technologischen Anforderungen an Rohrsysteme, die beim Fracking eingesetzt werden, sind sehr anspruchsvoll und können deshalb auch nur von Rohrproduzenten mit höchstem technologischem Niveau bedient werden. Im Gegensatz zu konventionellen Bohrungen, die im Wesentlichen vertikal verlaufen, wird bei Schiefergasbohrungen über weite Strecken horizontal gebohrt (Bild). Aufgrund dieser Anforderungen ist die Anzahl der Rohrproduzenten, die diesen Markt bedienen können, begrenzt. Die Gewinnung von eigenem Schiefergas könnte in Europa eine interessante Möglichkeit darstellen, die Abhängigkeit von russischem Gas deutlich zu reduzieren. Umweltbelastenden Transporte von LNG Gas aus den USA oder aus dem politisch nicht unumstrittenen Katar müssten dann auch nicht so große Volumina einnehmen.
wire & Tube NEWS: Welche Entwicklung erwarten Sie in den nächsten Jahren für die Rohrbranche in Afrika in Anbetracht der großen Rohstoffvorräte?
Dr. Gunther Voswinckel: Die Öl- und Gasvorkommen in Nordafrika haben bereits einige Rohproduzenten veranlasst Produktionskapazitäten für Rohre verbrauchernah zu errichten. Obwohl aktuell hier sicherlich ausreichend Kapazitäten aufgebaut wurden, wird sich dieser Trend grundsätzlich bedarfsgerecht weiter fortsetzen. Überlegungen grünen Wasserstoff in diesen Regionen zu produzieren, wird sicherlich auch weitere Rohrbedarfe bewirken.
wire & Tube NEWS: Es gibt noch weitere interessante Märkte – welche sollte die Rohrbranche unbedingt im Fokus haben?
Dr. Gunther Voswinckel: Die Erwartungen für wesentliche Marktsegmente des Rohrmarktes sind durchaus vielversprechend. Neue Anforderungen an die Energiewirtschaft, weiter hohe Nachfragende der Bauwirtschaft, eine Automobilbranche in dynamischer Veränderung und ein stabiler Maschinenbau bieten nachhaltige Geschäftspotentiale. Regionen wie Nordamerika, Asien, aber auch Europa sind aktuell Märkte mit großen Absatzpotentialen. Es muss aber auch beobachtet werden, inwieweit die aktuelle Überprüfung der Strukturen unseres Weltwirtschaftssystems weitere Marktpotentiale aufzeigen wird. Hier sind insbesondere Märkte wie Mittel- und Südamerika aber auch Afrika die stärker in den Fokus rücken könnten. In diesem Zusammenhang können aber auch Überlegungen einzelner Märkte, wie z.B. Europa, hin zu verstärkt unabhängiger Selbstversorgung neue Marktpotentiale für unsere Rohrindustrie bieten.
wire & Tube NEWS: Welche Impulse kann die Tube 2022 für die Branche setzen?
Dr. Gunther Voswinckel: Mit großer Freude können wir heute feststellen, dass der persönliche fachliche Austausch wieder möglich ist. Unsere weltweit führende Messe TUBE 2022 in Düsseldorf bietet unserer Rohrindustrie eine exzellente Gelegenheit, Kundenkontakte und Akquisitionen zu pflegen und wieder neu zu beleben. Die Aussteller der Rohrindustrie können ihre innovativen
Produkte und Produktionsprozesse präsentieren und mit Fachbesuchern aus der ganzen Welt intensiv und persönlich zu diskutieren.